Säurearme Weine genießen

Säurearme Weine sind keinen Exoten, man muss sie nur unter den vielen anderen Weinen erkennen. Weinistgeil hilft Ihnen dabei.

1. Warum Säure im Wein polarisiert

Kaum ein Begriff sorgt beim Weinkauf für so viel Unsicherheit wie das Wort Säure. Viele Weintrinker verbinden damit ein unangenehmes Brennen, ein Ziehen im Magen oder ein spitzes Gefühl auf der Zunge. Entsprechend oft fällt der Satz: „Ich vertrage keine säurehaltigen Weine.“

Dabei übersieht man etwas Entscheidendes: Säure gehört zu jedem Wein. Ohne Säure gäbe es keine Frische, keine Spannung, keine Struktur. Trotzdem stimmt auch: Nicht jeder Wein schmeckt gleich säurebetont, und nicht jeder Mensch empfindet Säure gleich.

Genau hier setzt dieser Artikel an. Er erklärt, was Weinsäure wirklich ist, warum sie oft missverstanden wird und wie man säurearme Weine gezielt erkennt, ohne auf Qualität zu verzichten.


2. Was ist Weinsäure eigentlich?

Im Wein kommen mehrere organische Säuren vor. Die wichtigsten sind:

  • Weinsäure – die Leitsäure des Weins
  • Apfelsäure – kantig, frisch, grün
  • Milchsäure – weich, rund, mild

Dazu kommen kleinere Anteile von Zitronensäure und Bernsteinsäure.

Der Gesamtsäuregehalt wird in Gramm pro Liter (g/l) angegeben. Er beschreibt die Summe aller Säuren im Wein. Davon zu unterscheiden ist der pH-Wert, der angibt, wie stark die Säure chemisch wirksam ist. Zwei Weine mit gleichem Säuregehalt können sich deshalb völlig unterschiedlich anfühlen.

👉 Merksatz:

Der Säuregehalt sagt, wie viel Säure vorhanden ist.
Der pH-Wert sagt, wie scharf sie wirkt.


Säurearme Weine
Weinsäure

3. Säurearme Weine: Wie Säure entsteht

Säure fällt nicht einfach „an“. Sie entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren.

Klima

Kühle Regionen bewahren Säure. Warme Regionen bauen sie ab. Deshalb schmecken Weine aus Süditalien oft milder als solche aus der Mosel oder dem Chablis.

Reifegrad

Je länger Trauben reifen, desto stärker sinkt der Säuregehalt. Vollreife Trauben liefern weichere Weine.

Rebsorte

Manche Sorten bringen von Natur aus mehr Säure mit. Riesling oder Barbera gelten als säurereich. Primitivo oder Merlot als säuremild.

Vinifikation

Durch die malolaktische Gärung wandelt der Kellermeister harte Apfelsäure in weiche Milchsäure um. Besonders bei Rotwein und Chardonnay spielt dieser Schritt eine zentrale Rolle.


4. Wie Säure schmeckt – und warum sie oft falsch wahrgenommen wird

Viele Menschen verwechseln Säure mit Sauerkeit. Das führt zu Fehleinschätzungen.

Ein Wein mit:

  • 6 g/l Säure
  • 14 % Alkohol
  • etwas Restzucker
  • hohem Extrakt

kann milder schmecken als ein knochentrockener Wein mit 5 g/l Säure.

Säure wirkt nie isoliert. Sie interagiert mit:

  • Alkohol (macht Säure weicher)
  • Zucker (puffert Säure)
  • Tannin (lenkt Wahrnehmung um)
  • Temperatur (kälter = säurebetonter)

5. Ab wann gilt ein Wein als säurearm?

Als grobe Orientierung haben sich folgende Werte etabliert:

  • unter 5 g/l → säurearm
  • 5–6 g/l → mild bis moderat
  • 6–7 g/l → frisch
  • über 7 g/l → deutlich säurebetont

Rotweine gelten oft schon bei 5–5,5 g/l als säurearm, da sie mehr Pufferstoffe enthalten.


6. Säurearme Weine und deren Rebsorten & Stilrichtungen

Weißwein (typisch säuremild)

  • Chardonnay (warm angebaut)
  • Grauburgunder
  • Weißburgunder
  • Fiano
  • Viognier
  • Gewürztraminer

Rotwein (sehr oft säurearm)

  • Primitivo
  • Merlot
  • Grenache
  • Dornfelder
  • Negroamaro

Ausbau

  • Holzfass
  • malolaktische Gärung
  • längere Reife

7. Säurearme Weine ≠ langweilig

Ein häufiger Irrtum: Säurearme Weine seien flach. Das stimmt nur bei schlecht gemachten Weinen.

Gute säurearme Weine besitzen:

  • Volumen
  • Reife Frucht
  • Extrakt
  • Länge

Sie ersetzen Frische nicht durch Zucker, sondern durch Struktur.


8. Für wen eignen sich säurearme Weine besonders?

  • Menschen mit empfindlichem Magen
  • Weine ohne Essensbegleitung
  • Einsteiger
  • Spätabends
  • Als „Entspannungswein“

9. Wissenschaftlicher Blick: Säurearme Weine und Verträglichkeit

Studien zeigen: Nicht die Säuremenge allein reizt den Magen, sondern:

  • niedriger pH-Wert
  • hoher Alkohol
  • Kohlensäure
  • Histamin

Säurearme, reife Weine ohne Kohlensäure gelten als besser verträglich.


10. Fazit: Säurearme Weine verstehen heißt besser genießen

Wer Weinsäure versteht, kauft entspannter. Säurearme Weine bieten Genuss ohne Schärfe, ohne Stress, ohne Überforderung. Sie zeigen, dass Wein auch weich, rund und harmonisch sein darf – ohne banal zu werden.

Guter Wein braucht Balance, nicht möglichst wenig Säure.